Gerne erzähle ich aus den Alltagserlebnissen mit meinem Piatti Roller. Obwohl Alltag in diesem Fall etwas hochgegriffen ist, da es sich schon schwierig gestaltet mit dem Piatti überhaupt einen einzigen Tag zu meistern.
Aber blenden wir einige Zeit zurück. Wie so oft beim schmökern in Rollerbüchern bleibt das Auge an einem besonderen Modell hängen, so geschehen beim Piatti. Einige Monate später hatte ich ein englisches Exemplar aus der ersten Serie lokalisiert und obwohl es bereits auf den Fotos „scheisse“ aussah gekauft.
Auf der Suche nach einem Piatti kann man auch nicht allzu wählerisch sein, da wohl kaum mehr als 50 Stück überlebt haben (ca. 49 davon sind im harten Alltagseinsatz in Museen oder Privatsammlungen).
Geschichte
Der Roller wurde von Vinzenco Piatti 1952 entwickelt und 1954 in Belgien bei D‘ leteren und ab 1956 in England bei Cyclemaster in Lizenz hergestellt. Laut Gerüchten, sollen in Belgien die Roller nach einigen tödlichen Unfällen von der Strasse verbannt worden sein, dies würde auch erklären wieso die belgischen Modelle meist nur einige wenige Kilometer auf dem Tacho haben.
Die kleinen Räder und das breite Trittbrett stellen vor allem bei Kurven ein grosses Unfallrisiko dar.
Aufgrund der lausigen Herstellungsqualität und der offensichtlichen Unterlegenheit im Alltag im Vergleich zu Vespa und Lambretta war dem Piatti keine grosse Zukunft beschieden. Nach ca. 750 Fahrzeugen in Belgien und ca. 14‘000 Fahrzeugen in England wurde die Produktion eingestellt
Technik
Neben der Eigenständigen Optik bietet der Roller auch viele interessante Detaillösungen wie höhenverstellbare Sattel und Lenker sowie den, per Seilzug vom Lenker bedienbaren Mittelständer. Dem gegenüber stehen aber auch Probleme beim Fahrwerk und dem Motor.
Der sehr kurze Radstand, verbunden mit den kleinen 7-Zoll Rädern sorgt für eine gewisse Agilität, böse Zungen würden das Fahrverhalten als Unruhig beschreiben. Der Roller besitzt keinen Rohrrahmen sondern ein Moncroque-Chassis mit allen nötigen Befestigungspunkten für die Anbauteile. Der 125ccm, 3-Gang Motor ist längs eingebaut und wird nur durch die Lüftungsschlitze am vorderen Kotflügel mit Fahrtluft versorgt, auf eine Gebläsekühlung wurde verzichtet (Staufahrten oder lange Rotphasen an der Ampel sollten soweit möglich vermieden werden). Mittels Zugriff über eine Klappe kann der AMAL Vergaser und Benzinhahn bedient werden. Um Arbeiten am Motor vornehmen zu können, wird der Roller auf die Seite gekippt. Die komplette Einheit von Motor, Stossdämpfer, Hinterrad und Anbauteilen kann mittels 3 Schrauben gelöst und ausgebaut werden. Elektrische Komponenten wurden von englischen Herstellern wie Wico-Pacy eingesetzt und funktionieren soweit normal.
Restauration
Die Restauration gestaltete sich schwieriger als erwartet, da einige Teile wie Kurbelwellenlager oder Reifen kaum aufzutreiben waren. Neben den üblichen Restaurationsarbeiten war hier viel Recherche-Arbeit nötig, da kaum Fahrzeuge vorhanden sind, geschweige den welche die auch fahren war es nicht möglich auf Know-how oder Erfahrungen anderer Besitzer zuzugreifen. Glücklicherweise gibt es ein ca. 60 Seitiges Werkstatthandbuch, dass sobald man sich mit den Zoll-Angaben vertraut gemacht hat gute Dienste bietet. Als schwierigster Punkt zeigte sich die Vergasereinstellung, natürlich ist das verwendete AMAL Modell sehr selten und die drei Vergaser die ich über die Jahre gefunden habe sind alle etwas gebraucht… Nun bin ich auf einen Dell’Orto umgestiegen und bin frohen Mutes dass der Roller nun richtig in die Gänge kommt.
Bei einer solchen Restauration schadet natürlich auch das Vorhandensein einer Drehbank, einer Fräsmaschine und eines pensionierten Feinmechanikers nichts!
Fahren !
Nach einem ersten Probesitzen fällt sofort auf, dass der Roller unglaublich kurz und irgendwie auch kleiner ist, als man dies von anderen Rollern gewöhnt ist. Durch die verstellbare Lenker- und Sattelhöhe lässt sich eigentlich eine ganz passable Einstellung finden. Bedienungselemente sind ähnlich wie bei der Vespa angeordnet und benötigen keine Eingewöhnungszeit.
Steht also einer ersten Probefahrt nichts im Wege.
Auffallend ist, dass die Motorleistung und der Motorlärm in keinem Verhältnis stehen, die Fahrleistungen sind eher für gemütliche Cruisen gedacht und können etwa mit der einer Vespa von 1951/52 verglichen werden. Bezüglich der Fahreigenschaften lässt sich leider kein Vergleich ziehen. Beim Piatti bilden der kurze Radstand, die kleinen Rädern und der vibrationsreiche Motor ein Paket das seinesgleichen sucht.
Nach den ersten paar Metern kehrt man sofort zur Garage zurück und ist versucht all die losen Schrauben mal richtig anzuziehen… Nichts da, ist alles Fest, ein Piatti fährt sich so!